Es ist der Beginn des heiligen Fastenmonats. Die Sorge während des Ramadans zu darben erweist sich als unbegründet. In jeder kleinen Stadt gibt es Restaurants, die geöffnet haben. Der Umweg zurück zur Mittelmeerküste führt mich schließlich auf eine Art Bundesstraße mit schmalem Seitenstreifen. Jede Minute donnern dutzende LKWs an mir vorbei. Sie sind mit Gütern oder Maschinen für das Erdbebengebiet beladen. Als der Abend dämmert und es schwer zu regen anfängt, stelle ich mich bei einer kleinen Tankstelle unter. Sofort werde ich von den Tankwarten kurzerhand zum Fastenbrechen eingeladen. Es geht deftig zu. Knoblauchzehen werden im ganzen verspeist und von Zwiebelspalten beißt man ab, als ob es Äpfel wären.

Am kommenden Tag kommt ein Schäfer mit wedelnden Armen aus einem Gebüsch gerannt und bittet mich anzuhalten. Er mag im gleichen Alter sein, wie ich, aber die Sonne und das harte Leben haben sein Gesicht frühzeitig altern lassen. Ob er vielleicht eine kleine „Reportage“ für seine „follower“ machen könne? Ich bin zu perplex, um viel sagen zu können und schließlich amüsiert, als der Typ zufrieden und eine Melodie pfeifend ins Dickicht zu seinen Ziegen zurückkehrt.
Die kommenden Wochen laufe ich selbsternannten Influencern leider noch häufiger vor die Kamera und verpasse es jedes Mal zu sagen, dass ich eigentlich nicht möchte. Wenn die „follower“-Zahlen hoch sind, präsentiert man mir sie vorher, als ob es ein charakterlicher Ritterschlag wäre. Wenn meinen Gegenübern bereits andere Reisende in die Falle getappt sind, dann zeigt man mir die „Reportagen“ von ihnen und ich muss schmunzeln, weil auch meinen Kollegen die Ratlosigkeit und das Unbehagen in den Videos deutlich anzusehen ist, die mich nur wenig später ergreift.
Immer wieder sehe ich diese Tage Menschen am Straßenrand, die eine Art wilden Rucola pflücken. Mittlerweile bin ich über einen Monat in der Türkei und bereits in dieser Zeit ist der Preis für ein Brot von drei auf fünf türkische Lira gestiegen. Weil der Wert des Euros parallel steigt, macht mir die Teuerung nicht zu schaffen, aber für die Menschen vor Ort ist es eine enorme Belastung.

Nachdem ich nun einige Tage alleine war, habe ich mir über „warmshowers“ einen Aufenthalt bei Bade in Tarsus organisiert. Ich hätte nicht mehr Glück haben können. Sie ist eine faszinierende Frau, die viele Hürden überwunden musste, um anzukommen, wo sie heute ist. Das hört sich zwar nach Kalenderspruch an, aber ist in ihrem Fall tatsächlich so. Während das Radfahren für mich ein selbstverständliches Mittel zum Zweck ist, ist es für Bade viel mehr und steht stellvertretend für ihren Lebensweg.

Aus einem konservativen dörflichen Milieu kommend, verbot ihr Vater ihr als Jugendliche das Radfahren. Ihr älterer Bruder wollte sich trotz der Liebe zu seiner Schwester nicht offen gegen den Vater stellen. So gab er ihr keinen Unterricht, aber stellte ihr sein viel zu großes Herrenrad zur Verfügung. Bei den ersten Versuchen tat sie sich oft weh, gab nach manch einem Unfall diesen kleinen Traum der Freiheit kurzzeitig auf, um es wenig später unter Blutzoll erneut zu versuchen. Bald wird sie 40, hat sich ihre Kämpfernatur bewahrt und ist gerade dabei über frühkindliche Erziehung zu promovieren. Ihre Eltern sind sehr stolz. Die Felge des alten Fahrrades, mit dem damals alles begann, steht heute auf ihrem Schreibtisch und erinnert sie daran, was sie bereits geschafft hat.
Ich verlasse Tarsus bei strahlendem Sonnenschein und 25C° in Richtung Osten. Der Duft der Orangenblüten liegt betörend schwer über dem Land. Auf den Feldern ist das Getreide bereits hüfthoch und wogt im Wind. Es ist schön hier. In den Dörfern herrscht Sonntagnachmittagstimmung. Die Teegärten der kleinen Orte sind proppenvoll, Kinder auf Fahrrädern begleiten mich ein Stück des Weges, auf denen sie mich mit tausend Fragen löchern. Menschen grüßen vom Straßenrand. Ein Obstverkäufer mit mächtigem Schnurrbart und buschigen Augenbrauen, die seinem grimmigen Blick schmeicheln, fragt mich woher ich komme und schenkt mir drei Äpfel. Bei meiner Antwort hellt sich sein finsteres Gesicht ein wenig auf und beim Handschlag zieht er mich mit Verschwörermine zu sich ran und flüstert mir zu, dass er bei der PKK ist. Manche Geheimnisse wiegen schwer.

In einem Dorf wurde geschlachtet und die Leber des Rindes wird über Holzkohle gegrillt. Der Ramadan wird von unterschiedlichen Leuten unterschiedlich ernst genommen. Alle Menschen begegnen mir freundlich und interessiert, doch die – hier immer häufiger anzutreffenden – Syrer vergewissern sich immer erst, dass ich mit meiner „Baseballcap“ und trotz meines immer krepeliger werdenden Englisch kein Amerikaner bin, bevor sie sich entspannen. Immer wieder kommt es dieser Tage vor, dass mich Menschen nach meinem Glauben fragen. Gott sei Dank kann ich mich auf die offiziellen Fakten berufen, denn als Atheist würde man schlechter wegkommen.
Bade hat mir eine gute Nachricht und eine schlechte Nachricht mit auf den Weg gegeben, an die ich gleichermaßen viel denke. Voller Bestürzung zeigte sie mir einen Artikel über tödliche Fahrradunfälle in der Türkei. Für ein Land in dem kaum jemand Rad fährt, sind 258 Todesfälle innerhalb von zwei Jahren eine erschreckend hohe Zahl. Ich wusste bereits, dass die türkische Justitia in politischen Prozessen oder bei Gewalt gegen Frauen dazu neigt, die Augenbinde zu lüpfen, aber scheinbar geschieht es auch bei Verkehrsunfällen mit Radfahrern. In hundert Prozent der Fälle gab man den verunglückten Radfahrern die Schuld. Ein Geschenk machte sie mir, in dem sie mir eine Sage erzählte, die sich einst in Tarsus zugetragen haben soll und die ihr bei Interesse über den nachfolgenden Link lesen könnt.

In Adana komme ich im Clubhaus des lokalen Radclubs unter und breche mich mit ein paar der Mitgliedern ihr Fasten. Manchmal fällt es mir schwer zu verstehen, warum einem so viel Herzlichkeit und Gastfreundschaft widerfährt. Während man sich im Alltag und in der Welt der Nachrichten leicht in dem Gedanken einrichtet, dass die Menschen schlecht sind, wird diese Annahme unterwegs ständig erschüttert. Ab und an passiert es, dass man bei einem Geschäft wohl im kleineren Maße über den Tisch gezogen wird, aber solche Geschehnisse vermögen das gute Gefühl, das ich den Menschen hier gegenüber hege nicht langfristig zu vermiesen.

Allerdings ist es auch nicht immer leicht Gast zu sein, wenn die Sprache fehlt. Inzwischen habe ich wohl den Wortschatz eines Zweijährigen, mit guten Umgangsformen und einer bedenklichen Fixierung aufs Essen. Für richtige Konversation reicht es also nicht. Während man sich sonst als Gast mit dem natürlichen Interesse gegenüber Subjekt und Kultur „revanchieren“ kann, fällt diese Möglichkeit weg und lässt die Beziehung manchmal unangenehm einseitig werden, aber ich hoffe, dass wenigstens nur ich dies so empfinde. Es macht mir nichts aus in der einfachen Bleibe des Radclubs ohne Fenster zu schlafen, aber abends dauert es ein paar Minuten ehe ich den Gedanken loslassen kann, dass über mir sechzehn marode Stockwerke liegen.

Am nächsten Tag habe ich großes Glück. Fünf Minuten nachdem ich an einer Tankstelle meine Reifen aufgepumpt habe, sehe ich einen kleinen Park mit Sportgeräten am Straßenrand. Als ich gerade ein paar Rentnerübungen gegen Rückenschmerzen mache, gibt es einen riesigen Knall. Ohne Zutun ist mein Schlauch geplatzt. Scheinbar war der Kompressor nicht geeicht und mir bricht der Schweiß bei dem Gedanken aus, was auf der Straße hätte passieren können.
Ich nähere mich dem Epizentrum des Erdbebens. Immer häufiger sieht man auf freien Flächen die weißen Zelte der Hilfsorganisationen. Zuerst sind die Schäden des Erdbebens unscheinbar: Risse im Putz, eingefallene Mauern und fehlende Steine in den oberen Stockwerken. Würde man nicht von der jüngsten Vergangenheit wissen, würden sie wie wunderliche Schönheitsfehler erscheinen, doch langsam werden die Schäden regelmäßiger und man erkennt die Systematik der Zerstörung. Ganze Häuser liegen eingestürzt da, gänzlich unbeschädigte Häuser werden die Ausnahme.
Ich habe gehört, dass die Stadt Nurdağı besonders schwer betroffen sein soll. Auf den letzten zwanzig Kilometern zu der Stadt setzt bei gerade einmal 8C° pflichtschuldig starker Regen und kalter Wind ein. Als ich die Stadt nach einem Höhenzug das erste Mal aus der Ferne sehe, offenbart sich die erwartete Zerstörung nicht. Alles scheint intakt. Als ich näherkomme und das Rauschen des Windes einen Moment nachlässt, zerstört der nun vernehmbare Krach diese Illusion: Das Hämmern von schwerem Gerät, das Ächzen von Wänden und das Aufheulen von Motoren. Erst als ich in die „Stadt“ einfahre, beginne ich tatsächlich zu sehen. Kein einziges der bis zu achtstöckigen Gebäuden steht noch vollkommen. Teilweise sind ganze Teile und Wände der Gebäude abgebrochen und man kann in die nun verwaisten, kalten Wohnungen schauen. Unzählige Gebäude liegen ganz im Schutt nieder. Es sind Bilder, wie man sie mit Krieg assoziiert.
Am Stadtrand sind die eingeschossigen Ladenzeilen nur beschädigt und man versucht das Leben halb in den beschädigten, schmutzigen Innenräumen, halb auf der Straße fortzuführen. Ein paar Männer hocken vor einem Samowar, über einem kleinen Holzofen und wärmen sich die Finger. Sie schauen mit leerem Blick in den Rauch. Ein paar Meter weiter brutzelt ein Dönerspieß. Ich frage mich, woher die Leute die Kraft nehmen angesichts dieser allumfassenden Zerstörung weiterzumachen. Ich werde den Tag über meinen Frosch im Hals nicht mehr los. Als der Regen wieder zunimmt, werde ich außerhalb der Stadt an einer Straßensperre in das sporadische Lager der Polizei zum Teetrinken und Aufwärmen eingeladen. Man erzählt mir, dass es in dieser Ausnahmesituation immer wieder zu Plünderungen komme.
Am Abend fahre ich nach Gaziantep rein. Es herrscht eine Stunde vor Sonnenuntergang ein irrsinniger Verkehr. Als der Ezan dann jedoch das Ende des Fastentages verkündet, sind die Straßen menschenleer. In den behaglich ausschauenden Wohnungen sieht man Familien vor reich gedeckten Tafeln zusammensitzen, die Restaurants sind gut gefüllt, Straßenverkäufer und Ladenbesitzer nehmen sporadisch vor ihren Geschäften Platz. Es fühlt sich ein wenig an, als ob man Weihnachten alleine feiern würde. Als ich mir in einem Nachtischlokal eine Kleinigkeit hole, um das Wifi nutzen zu können, werde ich von den kurdischen Bäckern an ihren Tisch eingeladen.

Als Tourist in türkische Geschichtsmuseen zu gehen, löst in der Regel etwas Irritation aus. Die museale Aufarbeitung hier funktioniert anders, als man es aus Deutschland gewohnt ist und alle Geschehnisse fügen sich lückenlos in einen türkischen Heldenepos ein, der je nach Erzählweise mit der „Befreiung“ Konstantinopels oder dem Ausrufen der türkischen Republik beginnt. Hier ein kleines Beispiel aus dem Museum über den Widerstand der Zivilbevölkerung gegen die illegitimen französischen Besatzer in der Stadt Antep und die Rolle der Kinder nach dem ersten Weltkrieg: „Hunderte von wehrlosen Kindern, die sich während der Zeit des Krieges opferten, schlugen die Süßigkeiten aus, mit denen die Besatzer sie für sich zu gewinnen versuchten, denn noch süßer war es für sie, als Märtyrer unter dem Bombardement der Feinde zu sterben.“ Der Ton macht die Musik.
Mein Weg nach Urfa führt mich wenige Kilometer von der syrischen Grenze entfernt lang. Auf dem steinigen Boden des Hügellandes wachsen nur Oliven und Pistazien. Zu dieser Jahreszeit sieht der noch blattlose Pistazienbaum mit den vielen kleinen Verästelungen und dem kurzen Hauptstamm aus, als ob man ihn verkehrt herum eingepflanzt hätte. Man hört nun immer öfters die kurdische Sprache und die große Anzahl Kufiya-Tüchern und arabischen Schriftzeichen im Stadtbild, deuten auf die sich verändernden ethnischen Verhältnisse hin. Die Pistazienbäume in der Gegend sind das grüne Gold der Region. Yusuf aus Antep erzählte mir, dass die Bauern, die nicht die Möglichkeit haben, ihre riesigen Felder einzugrenzen, ihre Felder zur Erntezeit mit Kalashnikovs zu bewachen wissen.

Urfa erwacht am Abend zum Leben. Die Restaurants breiten ihre Tische auf die Bürgersteige aus, die Kessel, in denen die typischen Ramadan-Süßspeisen frittiert werden, laufen noch einmal auf Hochtouren, sporadische Grillimbisse werden an Straßenecken errichtet und aromatischer Kebaprauch breitet sich langsam aus und liegt gleich einer schweren Glocke über der Stadt. Ich nutze die Iftar-Zeit als Gelegenheit, um all die Sehenswürdigkeiten ganz alleine bewundern zu können. Zwei Wochen nach dem Erdbeben kam es hier zu schweren Überschwemmungen, die fast fünfzig Menschenleben forderten. Hier und dort sieht man noch den getrockneten Schlamm, den die Wassermassen dagelassen haben und beim Erkunden der Vororte muss ich zwei Mal umkehren, weil kleine Kanalbrücken fortgerissen wurden.



Der Kloß im Hals, den ich erstmals beim Durchfahren des Erdbeben-Epizentrums bei grässlichem Wetter gefühlt habe, ist mittlerweile zu einer fiesen Erkältung geworden. Bei der Besichtigung Gökelitepes, der Wiege der Menschheit, hält mich die Faszination munter, aber danach halte ich mich mehr schlecht als Recht auf dem Rad. Ich befinde mich nun mitten im „fruchtbaren Halbmond“ und wie in jeder landwirtschaftlich intensiv genutzten Gegend, findet sich nur schwer ein freies Stück Land für das Zelt. In der Nähe einer Ruine auf einer kleinen Hügelkuppe werde ich schließlich fündig und lege mich früh schlafen.


Schüttelfrost setzt ein und ich hoffe inständig erst nach 14 Stunden wieder aufzuwachen. Nach zwei Stunden streift der Schein einer Taschenlampe immer wieder mein Zelt, im Halbschlaf hoffe ich naiverweise auf eine Verwechslung, aber das nervige Lichtspiel wird durch eine fordernde Stimme ergänzt. Als ich durch das „Fenster“ meines Zeltes nach draußen schaue, sehe ich im Licht des Vollmondes einen Schemen mit Taschenlampe und Schrotflinte. Ich grüße, zeige mich und als mein Gegenüber die Situation erkennt, ist er einfühlsam genug das Gewehr niederzulegen und mir nicht länger ins Gesicht zu leuchten. Man hatte mich für einen Dieb gehalten. Ob ich nicht bei ihnen im Haus übernachten wolle und mit ihnen zu Abend essen, jetzt da das Missverständnis geklärt sei? Ich möchte nur schlafen. Am nächsten Morgen liege ich mürrisch im Zelt, weil die Nacht nicht so heilsam war wie erhofft, als die Kinder der Familie einen kleinen Mundvorrat aus Küchlein und Äpfeln zu mir ans Zelt bringen und mich mit dieser lieben Geste mit der Welt besänftigen.

Auf einer geraden Autobahn und nicht ganz in Form durch eine Agrarwüste zu fahren, gibt mir das Gefühl gar nicht voranzukommen. In diesem Unwohlsein fällt es mir schwer auf all das Gehupe, Gegrüße und die generelle Aufmerksamkeit, die mir zu Teil wird, freundlich zu reagieren. Wahrscheinlich ist dieses andauernde im Mittelpunkt stehen dem Charakter nicht zuträglich und führt dazu, dass manch Reisender mit der Zeit unangenehm egozentrisch wird. Ich würde gerne in der Masse untertauchen können. Nur einmal bin ich diesen Tag froh, als sich an der Straße ein schönes Bild bietet. Ein Hirtenjunge liegt unweit seiner Herde auf einer Wiese, hat die Mütze tief ins Gesicht gezogen und schaut dösend in die Wolken.


Nach 200 Kilometern auf der besagten Autobahn habe ich die Landschaft gehörig satt und bin froh endlich nach Mardin abbiegen zu können. Um meine Lunge ein bisschen zu schonen, hieve ich mein Rad für die zwanzig Kilometer Aufstieg in einen Bus, aber bereue es schon kurzdarauf. Der Mann neben mir probiert geschlagene fünf Minuten ohne Kopfhörer die Klingeltöne seines Telefons aus. Er scheint auf der Suche nach etwas ganz Ausgefallenem für seine zweite Sim-Karte zu sein. Diejenigen, die ihm gefallen, kommen in eine engere Auswahl und werden gegeneinander abgewogen. Ich hätte gerne die Worte, um ihm zu seiner guten Wahl zu gratulieren. Es ist faszinierend, wie unterschiedlich die Grenzen der Schamhaftigkeit in unterschiedlichen Kulturen verlaufen.
In Mardin bin ich über Couchsurfing bei Servet zu Gast. Er ist der Typ Mensch, dem alles gelingt, ganz gleich was er anpackt. Mit seiner von ihm gegründeten Baufirma hat er seine Millionen verdient, aber wollte sich in etwas anderem ausprobieren. Nun brilliert er eben in seinem Studium der Kunstgeschichte und Soziologie. Er ist ein feiner Kerl, ein großzügiger Gastgeber und wir kommen gut miteinander aus, aber ich kann mich eines gewissen Unbehagens nicht erwehren, wenn wir in seiner Mercedes Limousine mit lauter Musik durch die Stadt cruisen und von den Mittellosen mit etwas, wie Bewunderung im Blick angestarrt werden.



Ich grübele, wie es für mich weitergehen soll. In fünf Tagen sind schwere Regenschauer angesagt. Da wo ich herkomme, redet man gern über Niederschlagsmengen und so weiß ich, dass mit 20 Liter Regen an je drei aufeinanderfolgenden Tagen nicht zu spaßen ist. Einen halben Tag kann ich nicht recht genießen, weil ich versuche Pläne zu schmieden, um zu den gegebenen Zeitpunkten ein Dach über dem Kopf zu haben, bis ich mich frei von den Zukunftssorgen mache und einfach losfahre.


Der Wahlkampf rückt in der Türkei immer näher. Ein sympathisch aussehender und scheinbar gelifteter Erdoğan blickt auf unzähligen Plakaten optimistisch der Zukunft entgegen. Die ersten Kastenwagen der Parteien fahren im Schritttempo durch die Straßen und terrorisieren die potentielle Wählerschaft mit politischen Liedern aus billigen und kaputten Lautsprechern. Es ist Zeit für mich das Land zu verlassen. In wenigen Tagen sollte ich es an die türkisch-irakische Grenze schaffen. In Deutschland beginnt gerade der Frühling zu erwachen, doch diese Landschaft hier ist von Steinen dominiert. Die Bauern müssen in diesen Landstrichen enormen Aufwand betreiben, um die Erde urbar zu machen und schaffen mit den aufgesammelten Steinen gleichzeitig Trockenmauern zum Einfrieden ihrer Sträucher oder willkürliche Türme und Haufen.


Umso weiter man in den Osten der Türkei kommt, desto zahlreicher und befestigter werden die Polizeistützpunkte. Meistens werde ich von den schwerbewaffneten Polizisten durchgewunken, aber manche halten mich für einen Schwatz an. Einmal geben mir zwei Beamte den gutgemeinten Ratschlag mich für den Iran mit einer Gebetskette auszustatten und mir einen Vollbart wachsen zu lassen. So würde ich sicherlich keine Probleme in diesem Land bekommen. Es wäre nicht unwahrscheinlich den gleichen Ratschlag in Deutschland für die Türkei zu hören.


In einem Café in der Grenzstadt Silopi werde ich bei meiner Tee Bestellung mit Google Translate gefragt, ob ich türkischen Tee oder den „geschmuggelten“ haben möchte. An der Straße in Richtung Irak herrscht das grenztypische Treiben. Eine Gruppe junger Männer ist bei einer Autobahntankstelle gerade ganz ungeniert dabei, kistenweise türkische Zigaretten in Koffer und Taschen umzupacken und in ihrem Bus zu verstauen. Dieses Mal habe ich mein Visum nicht überzogen und kann dem Grenzübertritt angenehm beruhigt entgegensehen, aber aufgeregt bin ich trotzdem, mir endlich den Jugendtraum Irak zu erfüllen.
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https://www.aerzte-ohne-grenzen.de/sich-engagieren/spendenaktion/online?cfd=d8gll
Wieder sehr schöne Bilder und der Text ist sehr schön geschrieben.Viel Spaß auch weiterhin und bleib gesund.
Erstaunt und erfreut das Du die Welt so bewusst entdeckst kann ich Dich nur bewundern und Dir alles Gute auf Deiner Reise wünschen.