Dobrodošli! Die für mich wohl schönste Art in einem Land willkommen geheißen zu werden. Von Triest führt mich ein Wanderweg auf einer stillgelegten Eisenbahnstrecke durch viele Tunnel und ohne Kontrolle bis nach Slowenien, das an dieser Stelle kaum mehr als 50 Kilometer breit ist. In der ersten kleineren Stadt empfängt mich der Geruch des Balkans: Cevape-Duft und Zigarettenqualm. Vor einer örtlichen Bar wird eine „Sangria Party” beworben, aber vor ihr sitzen nur fünf Männer in Jogginganzügen und trinken Bier. Auf der Landstraße überholt mich ein LKW, auf dessen Plane der Schriftzug „Kroatische Viehtransporte” in großen Lettern prangt und von einem riesigen Herzen geziert wird.
Durch die ganzen geglückten und unkontrollierten Grenzübertritte in den vergangenen sieben Monaten bin ich inzwischen etwas zu hochmütig geworden und muss nun den Preis dafür zahlen. Eine strenge Grenzerin will mich ohne Test nicht nach Kroatien einreisen lassen. Unverständlicherweise muss ich sogar nochmal nachhaken, um wenigstens meinen Reisepass aus den Klauen des Drachen zurückzubekommen. In den umliegenden Wäldern suche ich vor der Mittagshitze Zuflucht und stoße zufällig auf die Grenze, die hier zu meiner Bestürzung komplett befestigt ist. Seit den großen Geflüchteten-Bewegungen 2015 wurde knapp die Hälfte der 390 Kilometer langen Grenze zwischen Slowenien und Kroatien mit Nato-Draht und Panelzäunen blockiert. Es ist ein irritierender Anblick, inmitten Europas ein solch militaristisches Bollwerk vorzufinden, aber ist es doch auch Sinnbild der zynischen, menschenverachtenden Politik, die die europäische Union seit einigen Jahren nun bereits in Bezug auf diese politische Herausforderung betreibt. Die Berichte über die „Push-Backs” in der Ägäis sind dabei nur die Spitze des Eisbergs.


Etwas betrübt von meinem kleinen Ausflug komme ich zur Straße zurück und beschließe dem Ganzen, mit dem Versprechen den Test in Kroatien nachzuholen, einen erneuten Versuch zugeben, denn es ist weit und breit kein Testcenter in der Nähe. Die Schlange der Wartenden ist am späten Mittag äußerst lang. Halb Süddeutschland scheint auf dem Weg nach Kroatien zu sein. Ich gelange an das Häuschen eines Grenzers, der meine vorherige Abweisung miterlebt hat. Kleinlaut trage ich meinen Vorschlag vor, er grübelt, kontrolliert den Pass, wirft mir finstere Blicke zu und scheucht mich schließlich mit einer Handbewegung auf die kroatische Seite.
In Rijeka treffe ich mich mit Lenni, einem guten Freund aus Heidelberger Studentenzeiten. Er ist froh, endlich mal wieder aus Covid-Deutschland und dem in diesen Zeiten so routinierten und langweiligen Uni-Alltag rauszukommen und ich bin glücklich darüber, endlich einen Menschen zu treffen, den ich gut kenne und schätze, denn die zu häufig erlebte Oberflächlichkeit von Reisebekanntschaften kann auch schwer wiegen.
Auf „Rab“ wollen wir uns Kayaks mieten und die Adria-Insel in hoffentlich fünf Tagen umpaddeln. Nach einem kurzen Briefing durch Jogi, der Beköstigung mit Rakia durch dessen Vater, erwerben wir noch eine Flasche Selbstgebrannten und starten unser Abenteuer. Die Frage nach unserer bisherigen Kayakerfahrung wird glücklicherweise erst gestellt, als die Boote bereits am Strand liegen.
Der erste halbe Tag ist zäh, weil wir beide die Bewegung nicht gewohnt sind und uns auf den schmalen Booten unsicher fühlen. Wir fahren für einige Kilometer bis wir eine schöne Bucht finden, in der wir die Zelte aufschlagen können. Während wir in den Baumwipfeln über uns hören, wie der Wind kräftig rauscht, sind wir 5 Meter weiter unten gut geschützt, aber können mit Staunen betrachten, wie einzelne, verirrte Böen die schönsten Muster auf das ansonsten stille Wasser der Bucht zeichnen, in denen sich dem aufmerksamen Beobachter klar und deutlich der Name des Windes offenbart.

Am nächsten Morgen brechen wir gerade unser Lager ab, als das erste gemietete Boot mit nudistischen, bayrischen Freizeitkapitänen in der Bucht anlegt, um Cocktails zu schlürfen. Der Wind weht heute noch stärker und die Muskeln schmerzen noch vom Vortag. In der Mittagspause trinken wir uns aus dem Weinschlauch ein bisschen Mut an und begehen in unserem Übermut eine Fehlentscheidung.

Statt der Küstenlinie zu folgen, beschließen wir eine kleine Abkürzung zu nehmen. Wir leiden beide an einer 3D-Schwäche und haben die Entfernung zur gegenüberliegenden Küste mächtig unterschätzt, so dass wir für fast 5 Kilometer auf „offenem Meer“ sind. Die Wellen sind so hoch, dass wir ohne Spritzschutz ordentlich nass und aus dem Gleichgewicht gebracht werden. Aber wie so häufig im Leben ist es eher unsere Überreaktion auf das Geschehende, das uns beinahe zum Kentern bringt und weniger die „Welle” an sich. Wir kommen recht zermürbt an einem kleinen rettenden Strand an und bemerken erst jetzt, dass wir – durch Nutzung dieser nicht im vollen Umfang begriffenen Abkürzung – leider auch die Möglichkeiten zum Auffüllen unseres Wasservorrats verpasst haben.
Es ist gerade einmal früher Nachmittag und an dem kleinen, abfälligen Strand findet sich kein Platz für die Zelte, also machen wir uns für eine letzte kleine Etappe auf. Sobald wir allerdings eine vorgelagerte Landzunge umfahren, sind wir dem von Nord-Ost wehenden Bora plötzlich schutzlos ausgeliefert. Dieser für diese Gegend charakteristische Fallwind kann im Winter mit bis zu 250 km/h wehen und prägt Leben und Landschaft hier seit jeher. Der Wind, der uns an diesem Tag martert, ist deutlich schwächer, aber er reicht aus, um Wellen auf Höhen aufzupeitschen, die uns einen flauen Magen bescheren. Wir fühlen uns in unseren Nussschalen angesichts dieser Urgewalt hilflos und werden immer wieder gefährlich nah an die schroffe Küstenlinie getrieben. Während wir zuvor stets zu Scherzen aufgelegt waren, sind wir nun beide auffällig still. Ein Mann in roter Jacke steht als einziger an der Küste und beobachtet unseren Kampf gegen die Natur. Wir kommen fast nicht voran und durch kalte Gischt und starken Wind erkalten unsere eh schon müden Muskeln und drohen uns nach zehnminütigem Kampf im Stich zu lassen. Wir wagen es aber auch nicht die Kayaks bei einem Wendemanöver parallel zu den Wellen zu stellen. Mit dem Abklingen des Adrenalins übernimmt die Angst langsam die Oberhand und droht uns zu lähmen. Die einzige Möglichkeit, die eine unsichere Rettung verspricht, ist eine drei Meter breite Ausbuchtung in der schroffen Küstenlinie. Aus Mangel von Alternativen nehmen wir das Risiko in Kauf und schaffen es mit letzten Kräften an Land. Unser Gefühl hat uns nicht getäuscht, denn auch mit festem Boden unter den Füßen bleibt es einer dieser Winde, die einen aus dem Gleichgewicht bringen, während wir mit steifen Beinen unsere ersten ungelenken Schritte setzen.


Im fahlen Licht des wolkenverhangenen Nachmittags sieht die abweisende Küste und die in der Ferne liegende kleine Kapelle geradezu surreal aus. Der Mann in der roten Jacke erkundigt sich nach unserem Wohlergehen und keine zwei Stunden später erhalten wir eine relativ besorgte Nachricht von Jogi, unserem Kayakvermieter. Hier auf der Insel kennt scheinbar jeder jeden. Wir tragen die Kayaks in eine windgeschützte Senke und machen uns mit unseren Sachen, wie Schiffsbrüchige, zu einer Bucht in der Nähe auf, in der wir ein wenig Schutz von dem Wind zu finden hoffen. Am nächsten Tag wird der Wind erst am späten Nachmittag so weit nachlassen, dass wir uns wieder aufs Wasser wagen würden, aber unser Durst zwingt uns schon am Morgen zu Fuß bis in das 7 Kilometer entfernte Lopar zu wandern. Von Sonne und Durst gepeinigt, dem Blöken der Schafe und Meckern der Ziegen verhöhnt und einer Schlange erschreckt, die wenige Meter vor uns flüchtend ihr Versteck verlässt, empfinden wir beide, dass die letzten Stunden etwas „zu viel Abenteuer“ waren. Als wir am späten Nachmittag wieder zurück in unserer Bucht sind, beschließen wir uns noch den restlichen halben Tag Ruhe zu gönnen, um uns von den Strapazen zu erholen.

Am vierten Tag sind die Bedingungen günstiger und wir fühlen uns stark genug für die Überfahrt nach Goli Ortok, dem “kroatischen Alcatraz” oder „Titos Hawaii“ (Titovi Hajavi), wie sie im Volksmund genannt wird. Auf dieser Insel wurde 1949, nach dem Bruch Titos mit der Sowjetunion ein Gefängnis und Arbeitslager für politische Gefangene eingerichtet. Mit der Abkopplung Jugoslawiens vom „Kommunistischen Informationsbüro“ waren es zunächst vor allem jugoslawische Stalinisten und kroatische Ustaša-Faschisten, die hier interniert waren, da man in ihnen eine Gefahr für das noch junge Staatengebilde sah. Allerdings fanden auch ehemalige Partisanen und Waffenbrüder Titos, die sich im Kampf gegen die Achsenmächte bewährt hatten, durch Denunzierung und interne politische Kämpfe ihren Weg auf die „nackte Insel“, wie die Übersetzung der Insel aus dem serbo-kroatischen lautet. Die Insel trägt den Namen mit Recht. Der karstige Fels und der mit Salzwasser versetzte Bora Wind bedingten die nackte Erscheinung der Insel, die in all den vorherigen Jahrhunderten nur als Weidegrund für anspruchslose Schafe genutzt wurde.


Es waren die ersten Zwangsarbeiter, die Pinien und andere Bäumen auf die Insel brachten. Jogi erzählt uns später eine Anekdote, dass es die Gefangenen selbst waren, die tagelang in der brennenden Sonne standen, um den kleinen, frisch gepflanzten Bäumen den nach der Umpflanzung nötigen Schatten zu schenken. Die Bäume sollen gegossen worden sein, während die Häftlinge in der Sonne darbten. Zum einen gibt es Berichte über Folter, Mord und systematische Erniedrigung, zum anderen wurden die Inhaftierten für geleistete Überstunden bezahlt. Es ist nicht leicht sich aus den zur Verfügung stehenden Informationen ein umfassendes Bild zu machen. Die Insel galt als Staatsgeheimnis Jugoslawiens und nicht einmal “Amnesty International” soll von ihr gewusst haben.


1988 wurde das Gefängnis schließlich geschlossen und in Plünderungen wurde alles entwendet, was nicht niet- und nagelfest war. Gegenwärtig sind die Ruinen in einem erbärmlichen, einsturzgefährdeten Zustand und durch Vandalismus entweiht. Der salzige Wind ließ die Manufakturen auf der Insel in über 30 Jahren bis zur Unkenntlichkeit zerrosten und nur ein paar dürftige Informationstafeln zieren einzelne Gebäude. Es scheint als ob Kroatien, das sich durch die Geschehnisse in den 90er Jahren nicht mehr als Erbe Jugoslawiens betrachtet, sich der Aufgabe einer jeden neugeschaffenen „Demokratie“, der politischen Aufarbeitung, Erinnerung und Gedenkens vergangener Zeiten verwehrt. Abends taucht der Sonnenuntergang neben den am Horizont liegenden kleinen Inseln auch die verwitterten Bauten und Ruinen dieser nackten Insel in ein weiches, rosafarbenes Licht, wodurch merkwürdigerweise auch einem solchen Ort der Schrecken genommen zu werden scheint.

Von der Gefängnisinsel zurück nach Rab paddelnd erwartet uns nun der außergewöhnlichste Abschnitt unserer Reise: Die Luv-Seite der Insel, auf die der Bora-Wind trifft. Wir fühlen uns wie auf dem Mond. Hundert Meter hohe, karstige Klippen ragen aus dem Meer hinaus, lassen uns winzig fühlen und lehren uns Demut. Auf der anderen Seite der Kvarner Bucht liegt das kroatische Festland mit den Gipfeln des Velebits, die nicht selten noch bis zum Mai mit Schnee bedeckt sind.

An einem Strand, der nur mit dem Boot erreichbar ist, schlagen wir das Lager auf und genießen den frühen Schatten auf dieser Seite der Insel. Es ist eine perfekte Möglichkeit unter dem – in dieser Gegend so prächtigen – Sternenhimmel zu schlafen, auch wenn die Gedanken manchmal um die unzähligen Schlangen schweifen, die es auf der Insel gibt, aber die man leider häufiger tot am Straßenrand als lebendig zu Gesicht bekommt. Es sind Sternschnuppennächte, aber vielleicht ist es auch nur all der Schrott, den wir Menschen in den Himmel schießen. Nachts sorgt ein kleines Motorboot für Irritation, das scheinbar führerlos mit einem hellen Scheinwerfer die Küste absucht. Es ist die Stunde der Oktopus-Fischer, die die achtarmigen mit langen Harpunen jagen. Auf der Insel selbst wird jedoch in erster Linie Tintenfisch an die Touristen gebracht, der vor der westafrikanischen Küste entnommen wurden.

Es ist geradezu faszinierend, dass wirklich jeder auf der Insel deutsch spricht. Unsere einfachen Bestellungen tragen wir zunächst noch auf Kroatisch vor, wechseln aber immer in das hier nicht sehr übliche Englische, sobald es komplizierter wird. Nach ein paar Tagen schlucken wir aber unseren Hochmut und unsere Eitelkeit runter, passen uns den Gegebenheiten an und bestellen unsere Biere mit der hemdsärmeligen Abgeklärtheit von Dorfbürgermeistern im Kleinstadtlokal.
Nach sechs Tagen geben wir die Kayaks ab und übernachten noch für zwei weitere Nächte an einem herrlichen schmalen Strand, der von einem Baum überwuchert ist und so einen gewissen Sichtschutz bietet, bevor Lenni zurück nach Deutschland fährt und ich auf die Insel Pag übersetze, um von dort weiter nach Süden zu fahren.


Nach so angenehmer, gemeinsamer Zeit ist es ungewohnt wieder alleine loszufahren. Die Sonne brennt unerbittlich auf die bereits sonnenverbrannte Haut und macht mich mürbe. Am Abend warte ich geduldig an einem Strand, bis alle Touristen ihn kurz vor Einbruch der Dunkelheit endlich verlassen. Am Horizont scheint sich Regen zusammenzubrauen, der mich dann pünktlich zum Schlafen, wie mit einem tausendfingerigen Stakkato auf der Zeltplane in den Schlaf wiegt. Am nächsten Tag ist alles stahlgrau und ohne die trennenden, kontrastgebenden Landmassen, würden Himmel und Meer eins sein.

Nach der Woche in der brennenden Sonne genieße ich es in den Vororten Zadars in einem geräumigen Hostel auszuspannen und etwas zu schreiben. Es ist ein schönes, lichtes Hostel – wie es sie zu selten gibt – das neben seinem großen Außenbereich auch von der Gastfreundschaft, dem Charme und der Professionalität von Chris und Tiha lebt, die in ihr „Lazy Monkey Hostel“ nun schon seit 10 Jahren ihr Herzblut stecken.
Das Meer ist nur wenige hundert Meter entfernt und fast jeden Tag genieße ich die Möglichkeit an den Klippen mit dem Wasser unter mir zu klettern. Das schlechte Gewissen, dass der Kater jeden Morgen mit sich bringt, führt dazu, dass viele meiner Hostel-Freunde sich auch aus ihrer Lethargie zwingen und so sind wir an manchen Tagen schon richtige Seilschaften, die sich auf den Weg zum Klettern aufmachen. Die Vormittage vergehen angenehm mit Schwimmen, Klettern und dem obligatorischen Sprung von der Klippe, wenn man ausnahmsweise mal eine Route bis nach oben geschafft hat. Durch diejenigen, die „irgendwas mit Medien“ machen entstehen tolle Bilder, die sogar unsere spaßhafte Kraxelei vorteilhaft aussehen lässt.


Die kroatische Küste entlangzufahren gleicht für mich an vielen Tagen einer Reise in die Vergangenheit. Vor gut 5 Jahren bin ich mit meinem Kumpel Frederik, gewillt die Tramp-Abenteuer Neuseelands in Europa fortzuführen, zu einer Balkanrunde per Anhalter aufgebrochen, die auch an der kroatischen Küste entlanggeführt hat. Es ist erstaunlich, an wie viel man sich noch erinnert. Es sind zum Teil nostalgische Banalitäten: in welchem Gebüsch am Straßenrand wir unsere Zelte aufgeschlagen haben, an welcher Tankstelle wir stundenlang gewartet haben oder hinter welcher Brücke in kleinen Hütten entlang der Straße frisches Obst und Gemüse, Honig und Schnaps angeboten werden. Andere Anekdoten haben sich auf andere Art und Weise eingeprägt. Beispielsweise erinnere ich mich noch genau an die Haltebucht, in der uns Stefan aufgesammelt hat und einen großen Umweg für uns in Kauf genommen hat. Während der Fahrt erzählte er uns davon, wie er schon seit vielen Jahren als einfacher Arbeiter in einem Minenräumkommando arbeitete, um die Altlast des Krieges zu beseitigen. Seine lebensgefährliche Arbeit wurde ihm schlecht entlohnt. Er verdiente nicht einmal 600 Euro pro Monat.


Nachdem ich die letzten 3 Wochen und gewissermaßen auch die letzten Monate fast immer in Nähe der Küste unterwegs war, bin ich froh, als hinter den nicht enden wollenden Vororten und Industriegebieten Splits wieder die Möglichkeit besteht, in die Berge zu fahren. Es ist ein schöner Kontrast zu all den Kilometern an der Küste, aber bei über 30 °C auch eine enorme Plackerei. Nach einem besonders langgezogenen Anstieg habe ich die Möglichkeit wieder ins Tal zu fahren. Ein Schild zeigt an, dass der Weg wegen einer Baustelle gesperrt sein soll, aber ich setze mich über die Information hinweg. Mit dem Fahrrad wird man schon irgendwie durchkommen. In endlosen Serpentinen genieße ich, wie der Fahrtwind wohltuend wie Balsam meinen überhitzten Körper kühlt. Dem kleinen Ort näherkommend, erkenne ich nun aber, dass es keine gewöhnliche Baustelle ist, sondern ein riesiges Tunnelbauprojekt durch massive Berge und eine Verbindung dieser beiden Tunnel durch eine Brücke über einen Fluss der Grund für die angezeigte Sperrung ist. Vor einer mit Geröll verschütteten Straße endet mein Weg in der Nähe eines Flusses dann auch alternativlos. Aus dem Augenwinkel erkenne ich etwas, das mich vor einem kräftezehrenden und mir in dieser Hitze den Todesstoß versetzenden Rückweg bewahren kann.

Ähnlich wie in Hesses „Siddharta“, sitzen zwei rauchende, in Warnwesten gekleidete Fährmänner in der Nähe ihres Kahns im Schatten, um die von der Außenwelt abgeschlossenen Bewohner des kleinen Ortes an das rettende andere Ufer zu bringen. Was ihnen an Wissen über das „Wesen der Dinge“ fehlen mag, machen die beiden durch beherztes Anpacken wett, als wir mein Fahrrad gemeinsam an Bord hieven.

Entlang des Cetina-Canyons kann ich meine Fahrt vorsetzen und genieße das smaragdgrüne Wasser, seinen Fischreichtum und das Leben, welches er der Schlucht schenkt. Die Adriaküste ist wunderschön, aber ohne die entsprechenden Wechsel und Kontraste hört man irgendwann auf sie wertzuschätzen.
Ich finde direkt am Fluss einen guten Schlafplatz und genieße bis spät in den Abend sein gleichmäßiges Rauschen, das auch einen schönen Kontrast zu dem zuletzt vorwiegenden Rhythmus der Brandung darstellt. Während ich am nächsten Tag frühstücke, fahren ein Dutzend Rafting-Boote mit jungen, gutgelaunten Truppen vorbei, die die kleine Überschneidung unserer Lebenspfade nutzen, um mir in ihrer Ausgelassenheit Obszönitäten jeglicher Fasson zuzurufen.


Eigentlich mag ich „die Kroaten“ sehr, und besonders die jungen, fitten Menschen, mit denen ich die Chance zum Gespräch hatte, hatten mich ausnahmslos begeistert, aber kurz vor der Grenze bekommt der schöne Glanz Risse. Kurz vor Dubrovnik überholt mich ein Hochzeitskonvoi, in dem Kroatienflaggen geschwenkt werden. Es muss ein merkwürdiges Weltbild sein, in dem – der hoffentlich aus Liebe vollzogene – Bund der Ehe mit dem „Vaterland“ in Verbindung gebracht wird. Ich vertiefe mich in grantige Gedanken über den überall auf der Welt wieder erstarkenden Nationalismus, der vor nicht einmal 30 Jahren hier so blutige Spuren gezogen hat.
Wie es der Zufall will, überquere ich meinen tristen Gedanken nachhängend wenige Minuten später vor Dubrovnik auch noch die „Dr. Franjo Tudman“ Brücke. Die Worte mit denen dieser nationalistische Autokrat 1990 in Zagreb nach den ersten Mehrparteienwahlen an einem Palmsonntag ins Amt „erhoben“ wurde, geben einen interessanten Einblick in die Mentalität „jener“ Zeit: „An diesem Tag kam Christus, der Triumphant, nach Jerusalem, wo er als Messias begrüßt wurde. Heute ist unsere Hauptstadt das neue Jerusalem. Franjo Tudman ist zu seinem Volk gekommen.“ Wäre dieser revisionistische Hitzkopf nicht 1999 verstorben, hätte man davon ausgehen dürfen, dass er – wie alle anderen vermeintlich großen Männer dieser Tage, die den Volksgeist zu spüren glaubten – nach bereits begonnen Ermittlungen in Den Haag hätte vorstellig werden müssen. Im ehemaligen Jugoslawien grassiert die Binnenweisheit, dass die Region stets 50 Jahre hinter Westeuropa „im Verzug“ ist und in einfachen Gedanken finde ich Bestätigung dieser „These“.

Ich fahre an Dubrovnik vorbei, das durch „Game of Thrones“ zu internationaler Bekanntheit gelangte und komme schließlich einige Kilometer weiter südlich an einem riesigen, leerstehenden Hotelkomplex am Strand an. Einschusslöcher an den Fassaden zeugen vom Krieg mitten in Europa. Ich bin zu müde, um mein Zelt aufzubauen und lege mich in der Nähe des Bootsanlegers schlafen. Nach ein paar Stunden wache ich im ersten Tageslicht auf, weil ich etwas spüre, drehe mich schnell um und entdecke hinter mir einen riesigen schwarzen Hund, der an die verwandelte Hundegestalt von „Sirius Black“ in den Harry Potter Filmen erinnert. Er schaut mich seinerseits mit Schrecken in den Augen und einem Tennisball im Mund verdutzt an, weicht schnell zurück und möchte auch trotz guten Zuredens von Seiten seines Besitzers, das langsam in der Ferne zu einem „Hajde, Idimo, Hajde“ verklingt, nicht an mir vorbei. Ich muss in meinem Schlafsack wie ein Monster für ihn aussehen und er passiert mich erst dann ganz hastig und ungelenk, als ich mich zurück in meinen Kokon verkrümele.


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Hallo Christopher,
Deinen Reisebericht habe ich mit Spannung gelesen, die Bora -Winde haben mir in Rovinie auch zugesetzt, als wir am Nachmittag mit dem Paddelboot eine schöne kleine Insel verlassen wollten kamen wir nicht ins Wasser, so schleppten wir das Boot zur Lee Seite um ins Wasser zu kommen. Die Rückfahrt dauerte doppelt so lang. Die wünsche ich eine Gute Zeit.
Deine ungeschminkte realitätsnahe Lagebeschreibung finde ich hervorragende.